Föhn: Ursache und Wirkung einer Wettererscheinung

Föhn: Ursache und Wirkung einer Wettererscheinung
Föhn: Ursache und Wirkung einer Wettererscheinung
 
Föhn, ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer, trockener Wind, tritt weltweit sporadisch einige Tage lang auf der dem Wind abgewandten Seite von Gebirgen auf und hat verschiedene psychovegetative Auswirkungen auf die dort lebenden Menschen, deren genaue Ursachen aber noch weitgehend ungeklärt sind.
 
 Das Phänomen Föhn
 
Föhn ist ein sporadisch auftretender, warmer, trockener, oft stürmischer Fallwind, der von einem nahe gelegenen Gebirge her weht und für einen drastischen Wetterumschwung in dem betroffenen Gebiet sorgt. Typisches Föhnwetter stellt sich im nördlichen Alpenrandgebiet ein, wenn über Nordfrankreich ein Tief liegt, das auf seiner östlichen Seite von Süden die Luft gegen die Alpen führt — am Bodensee herrscht beispielsweise an durchschnittlich 35 Tagen im Jahr Föhnwetter. Seltener kommt der »Nordföhn« vor, der an der Alpensüdseite auftritt, wenn von Norden oder Nordwesten her Kaltluftmassen die Alpen überqueren. Der Föhn tritt auf der Leeseite — der dem Wind abgewandten Seite des Gebirges — auf; die andere Gebirgsseite, von welcher der Wind heranströmt, heißt Luvseite.
 
Wärme der trockenen Winde stammt aus der Kondensationswärme des Wasserdampfs, die beim Ausregnen auf der Luvseite des Gebirges frei geworden ist und mit der über das Gebirge strömenden Luft auf die Leeseite transportiert wird. Daher ist die vom Gebirge herabwehende Luft zugleich sehr trocken, was unter anderem für eine außerordentlich gute Fernsicht sorgt.
 
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahm man an, dass der Ursprung der warmen Windströmung in weit entfernt liegenden, heißen Regionen liege. So betrachtete man den alpinen Föhn als Ausläufer des Schirokko aus der Sahara. Da der Föhn aber nur im Tal warm und trocken ist und weil am Gebirgskamm gleichzeitig ein kalter, feuchter Wind herrscht, ließ sich diese Hypothese nicht halten. Eine alternative, aber ebenso wenig haltbare Theorie war, dass sich die Luft auf ihrem stürmischen Weg bergab durch Reibung erwärme. Die heute allgemein akzeptierte, thermodynamische Erklärung dieses Phänomens geht auf den deutschen Naturforscher Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821—1894) und den österreichischen Meteorologen Julius Ferdinand Edler von Hann (1839—1921) zurück. Aus der Sichtweise der modernen Wetterkunde stellt sich der Föhn folgendermaßen dar: Die von Luv heranströmende, feuchte und mäßig warme Luft steigt dem Geländeprofil folgend auf, dehnt sich aufgrund des mit der Höhe abnehmenden Luftdrucks aus und kühlt sich dabei ab. Mit sinkender Temperatur nimmt die Aufnahmekapazität der Luft für Wasserdampf drastisch ab, sodass bei gleich bleibender absoluter Wasserdampfmenge die relative Luftfeuchtigkeit ansteigt, bis sie mit 100 % den Sättigungswert erreicht (Kondensations- oder Taupunkt).
 
Thermodynamisch gesehen handelt es sich dabei um eine adiabatische Abkühlung; adiabatische Vorgänge in Gasen sind solche, die sich ohne Wärmeaufnahme oder -abgabe von beziehungsweise nach außen abspielen; der Wärmeinhalt des Gases bleibt also bei einem adiabatischen Prozess gleich (Anmerkung: Wärme ist nicht dasselbe wie Temperatur!).
 
Man muss nun bei Atmosphärenluft zwischen trocken- und feuchtadiabatischen Prozessen unterscheiden: Enthält die Luft keine auskondensierten Wassertröpfchen, liegt also die relative Luftfeuchte unter 100 %, so spricht man von trockenadiabatischen Prozessen; hierbei kühlt die Luft bei einem Anstieg um 100 Meter um etwa ein Grad ab. Nach Erreichen des Kondensationspunkts führt die Freisetzung von Kondensationswärme dazu, dass die Temperatur deutlich schwächer mit der Höhe abnimmt, die feuchtadiabatische Temperaturabnahme beträgt je nach Temperatur und Anfangsfeuchte etwa 0,3—0,5 Grad pro 100 Meter. Natürlich kommt es für absinkende Luftmassen zu einer entsprechenden Zunahme der Temperatur.
 
Dies bedeutet nun für die luvseitig aufsteigende Luft, dass sie zwar zunächst trockenadiabatisch auskühlt, jedoch wegen des schnell erreichten Kondensationspunkts den größten Teil ihres »Alpenaufstiegs« unter feuchtadiabatischer Abkühlung zurücklegt. Dabei verliert sie ihren Feuchtigkeitsgehalt in Form von Regen. Bei oder nach Überschreiten des Gebirgskamms sinkt die relative Feuchte unter 100 %, die Wolkengrenze wird erreicht. Diese ist oft so scharf ausgeprägt, dass man sie Föhnmauer nennt. Jenseits der Föhnmauer sinkt die Luft talwärts und erwärmt sich trockenadiabatisch — der größte Teil des Abstiegs erfolgt also unter schneller Erwärmung, während der größte Teil des Aufstiegs unter langsamer Abkühlung geschah; unter dem Strich bedeutet dies eine spürbare Nettoerwärmung. Die »Bilanz« für zwei im Tal gelegene Orte gleicher Höhe, A auf der Luv- und B auf der Leeseite, sieht bei einer Gebirgshöhe von 3 000 Metern (relativ zu A und B) etwa so aus:
 
Wenn die Temperatur im Ort A in 0 Meter Höhe 16º Celsius beträgt, ist die trockenadiabatische Abkühlung bis in 1 500 Meter Höhe -15º Celsius, die feuchtadiabatische Abkühlung bis in 3 000 Meter Höhe -7,5º Celsius, die feuchtadiabatische Erwärmung bis in 2 900 Meter Höhe +0,5º Celsius und die trockenadiabatische Erwärmung bis in 0 Meter Höhe +29º Celsius, sodass die Temperatur im Ort B 23º Celsius ist.
 
Die Tatsache, dass die relativ warme und damit weniger dichte Luft, die über den Gebirgskamm strömt, die kalte, dichte Luft auf der Leeseite forträumen kann, lässt sich nicht ohne weiteres erklären. Einem Deutungsversuch aus den 1950er-Jahren zufolge beruht diese Verdrängung darauf, dass die überfließenden Luftmassen wasserdampfgesättigt sind und aufgrund ihrer Dichte absinken. Die Abwärtsbewegung werde auf dem weiteren Weg aufgrund von Massenträgheit beibehalten. Eine plausiblere Erklärung liefert die Strömungsmechanik, die das Gebirge als ein Hindernis in einem laminar (ruhig) strömenden Medium betrachtet. Wenn das Hindernis nicht umströmt, sondern überströmt wird, dann schmiegen sich die Luftschichten im Wesentlichen an das Profil der Erdoberfläche an, und die Reibung spielt nur eine untergeordnete Rolle. Überdies kommt es dabei hinter einem Hindernis zur Ausbildung von Wellenerscheinungen (siehe unten).
 
Der Name ist über das rätoromanische Wort »favoign« oder mittelhochdeutsch »phönne«, althochdeutsch »fonno« und gotisch »föhn« aus dem lateinischen »favonius« abgeleitet, das einen milden Westwind bezeichnete. Der Gott Favonius war der Geliebte von Flora, der Göttin der Blumen, er entsprach dem griechischen Zephyr und galt auch als Frühlingsbote. Verwandt mit diesem Begriff sind die englischen Begriffe favour und favourable (Gunst beziehungsweise günstig).
 
Bekannte warme Fallwinde gibt es in Kanada und in den USA östlich der Rocky Mountains, von den Indianern »chinook« (Schneefresser) genannt, am Ostfuß der Anden in Argentinien (Zonda), in Nordwestafrika am Süd- oder Nordrand des Atlasgebirges (je nach der Richtung, aus der der Wind weht; es kann sich zum Beispiel um Ausläufer des Schirokko handeln, der sich über der Wüste bildet), am Nordrand der spanischen Sierra Nevada (Leveche), an der Küste Grönlands und im Vorland der Southern Alps Neuseelands.
 
 Föhnwolken
 
Föhnwolken sind orographische Wolken, das heißt, ihr Auftreten ist an das Vorhandensein eines Gebirges gebunden. Es treten zwei Arten von Wolken auf: die Föhnmauer auf der Leeseite parallel zum Gebirgskamm und »Föhnfische«, linsenförmige Wolken (Lenticularis), am ansonsten klaren Himmel über dem leeseitigen Tal.
 
Die Wolken werden durch den Wind über den Kamm des Gebirges geschoben und lösen sich auf der Leeseite nach einer relativ kurzen Fallstrecke infolge der Erwärmung der absteigenden Luft in einer bestimmten Höhe auf. Dadurch ergibt sich auf dieser Seite eine deutlich ausgeprägte Wolkenfront, die Föhnmauer.
 
Das Gebirge versetzt die darüber strömende Luft in eine Wellenbewegung, in ähnlicher Weise wie sich Wasserwellen hinter einem im Fluss befindlichen Hindernis bilden. In beiden Fällen sind die Wellen umso ausgeprägter, je steiler und höher die Wände des Hindernisses sind. Die Wellenlänge der Leewellen des Föhnwinds liegt bei einigen Hundert Metern bis zu wenigen Kilometern. Die linsenförmigen, glatten Lenticulariswolken (von lateinisch lens, Genitiv: lentis, Linse) bilden sich in den Kämmen der Leewellen und werden oft für UFOs gehalten. Die Wellennatur dieses Phänomens zeigt sich in dem regelmäßig aufeinander folgenden Auftreten der Wolken in Windrichtung und in ihrem Verharren an Ort und Stelle trotz des Seitenwinds. Zu erwähnen ist noch, dass sich am Boden in einer Entfernung, die in der Größenordnung der Wellenlänge liegt, auch eine Luftwalze, ein Wirbel mit horizontaler Achse, bilden kann, in welcher der Bodenwind in Richtung des Gebirges weht.
 
In Gegenwart von höher gelegenen Wolkenschichten (Altocumuli in einer Höhe von zwei bis sieben Kilometern) werden die Leewellen in Form von wogenartigen Verformungen der Wolkenunterseite sichtbar.
 
 Föhnbeschwerden und Föhnrausch
 
Neben äußeren Erscheinungen wie der Schneeschmelze und einer oft damit verbundenen erhöhten Lawinengefahr wirkt sich Föhn auf das Wohlbefinden der Menschen im betroffenen Gebiet aus: Insbesondere treten verstärkt Kreislaufversagen und Herzanfälle auf. Häufig kommt es zu psychovegetativen Störungen wie Reizbarkeit, depressiven Verstimmungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Migräne. Föhn wirkt allerdings bei einigen auch euphorisierend, hebt also die Stimmungslage. Hermann Hesse beschrieb diesen Zustand als »süßes Föhnfieber«. Die Föhnkrankheit ist bei wetterfühligen Menschen besonders ausgeprägt (Meteorotropismus). Manche spüren den Föhn als »Vorföhn« sogar schon vor seinem Durchbruch in die bodennahe Luftschicht. Über den Mechanismus, der zur Föhnkrankheit führt, weiß man ebenso wie über die Wetterfühligkeit nur wenig. Während im Allgemeinen die biotrope Wetterwirkung, die durch einen Hintergrund von Licht- und Wärmestrahlung, durch Lufttemperatur, -feuchtigkeit und -druck sowie durch in der Luft enthaltene Spurengase (Ozon, Stick- und Schwefeloxide) ausgelöst wird, unbemerkt bleibt, reagieren bestimmte Menschen wesentlich empfindlicher auf diese Umweltfaktoren. Vermutlich spielt hier auch die atmosphärische Elektrizität eine Rolle. Die Föhnwirkungen dürften vor allem auf die rapiden und oft innerhalb kurzer Zeit mehrfach auftretenden Luftdruckschwankungen zurückzuführen sein.
 
 
Heinrich von Ficker und Bernhard de Rudder: Föhn u. Föhnwirkungen. Leipzig 21948.
 Heinz Reuter: Die Wissenschaft vom Wetter. Berlin 21978.
 
Föhnstudien, herausgegeben von Michael Kuhn. Darmstadt 1989.
 Günter Borchert: Klimageographie in Stichworten. Berlin 21993.
 Berthold Wiedersich:Das Wetter. Entstehung, Entwicklung, Vorhersage. Stuttgart 1996.
 Hans Häckel: Farbatlas Wetterphänomene. Stuttgart 1999.
 Günter D. Roth: Wetterkunde für alle. München 91999.

Universal-Lexikon. 2012.

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